von Hardy Fürch
Empyrea ist eine autonome Insel im östlichen Mittelmeer im Hoheitsgebiet von Griechenland, mit gut 800 km² etwa doppelt so groß wie die Stadt Köln und
hat
108 000 Einwohner. Der Hauptinsel sind noch kleine, zumeist unbewohnte Eilande vorgelagert. Das gesamte Hoheitsgebiet der Insel umfasst rund 2500 km², was etwa der
Größe des Saarlandes entspricht.
Das Insel-Klima hat sich seit den 2000er Jahren besonders in den Sommermonaten stark erhitzt, auch Starkregenfälle während des ganzen Jahres sind in den letzten
Jahrzehnten immer häufiger aufgetreten.
Die staatliche Wasserwirtschaft unterhält ein inselumfassendes Bewässerungs- und Regenrückhaltesystem, das von Hauszisternen, einem kleinen Stausee im Gebirge und
Überflutungsbereichen gestützt wird. Die großflächige Wiederbewaldung und damit der Hauptteil des Klima-Resilienz-Programms der Insel wird voraussichtlich 2065 abgeschlossen sein.
Die Insel war und ist stark von der Landwirtschaft geprägt. Hauptsächlich werden Oliven, Wein, Zitrusfrüchte und Gemüse nachhaltig bewirtschaftet angebaut. Die Viehwirtschaft ist auf kleine Schaf- und Ziegenherden beschränkt, hauptsächlich im Landschafts- und Naturschutz. Der bekannte Empyrea-Käse hat hier seinen Ursprung. Weitere wichtige Wirtschaftszweige sind die Meer-Algenzucht, die In-vitro- Fleischproduktion und die Herstellung und der Export von Wasserstoff. Die wirtschaftliche Effizienz der größeren Unternehmen gehört durch den massiven Einsatz von (emotionaler) künstlicher Intelligenz zu den höchsten der Welt, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit beträgt 24,5 Stunden. Der Tourismus, der bis in die 2030er Jahre die Haupteinnahmequelle war, ist stark zurückgegangen und beschränkt sich in Form eines sanften Tourismus nur noch auf kleinere Teile der Insel, die nicht unter besonderen Schutz gestellt wurden. Die für den Tourismus nicht mehr benötigten Gebäude sind in Wohnhäuser, Bildungs- und öffentliche Forschungsstätten umgebaut worden.
Jeder Haushalt ist im Rahmen der Daseinsvorsorge an das digitale Insel-Netzwerk angeschlossen und G 6 ist inselweiter Standard. Das informelle
Selbstbestimmungsrecht wird mittels ständig sich fortschreibender Gesetze umfassend durchgesetzt. Die öffentliche Verwaltung sowie das Energie- und Wassermanagement sind vollständig digitalisiert
und KI-gestützt. Nur 5 % aller Beschäftigten arbeiten in der öffentlichen Verwaltung.
Empyrea ist durch 24 modernste Windkraftanlagen mit einer Höhe von fast 400 Metern, die auf kleinen vorgelagerten unbewohnten Inseln installiert wurden,
energetisch autonom und exportiert ca. die Hälfte seines auf der Insel hergestellten grünen Wasserstoffs aufs 160 km entfernte Festland. Auf der Insel fahren keine Verbrenner-Pkw und -LKW,
Baumaschinen sind hiervon ausgenommen. 80% des Individualverkehrs erfolgt mit dem Fahrrad oder emissionsfreien Linienbussen, wobei jedes Gebäude auf der Insel grundsätzlich einen Anspruch
auf eine öffentliche Fahrrad-Zufahrt hat. Die Fähren der Insel beziehen ihre Energie aus bordeigener Sonnen- und Windenergie. Auf dem kleinen Inselflugplatz erhalten nur Flugzeuge und
Hubschrauber mit emissionsneutralem Antrieb eine Landeerlaubnis.
Das Bildungswesen ist kostenlos, die beiden Universitäten der Insel besuchen
ca. 11 000 Studierende, wobei eine Quote von 50 % für Studierende aus den afrikanischen Mittelmeer-Anrainerländern festgesetzt ist. Über Empyrea hinaus bekannt ist
die philosophische Fakultät der Nelson-Mandela-Universität, an der neben westlicher schwerpunktmäßig afrikanische und asiatische Philosophie und Lebenskunst gelehrt und erforscht wird. Alle zwei
Jahre findet in Kipos, der Hauptstadt der Insel, der internationale Kongress „Evolution of Humanity“ statt, für den Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Philosophie, Wissenschaft, Psychologie und Yoga vom empyreischen Ministerium für menschliche Entwicklung eingeladen werden. Der empyreische Thomas Morus-Preis für
wegweisende menschliche Entwicklungsprojekte in Höhe von 1 Million Euro wird alle vier Jahre vergeben.
(Der englische Staatsmann und humanistische Autor Thomas Morus (geb. 1478) veröffentlichte 1516 den als philosophischen Dialog aufgebauten Roman Utopia, worin er eine ideale Lebensordnung auf der fiktiven Insel Utopia als kritischen Gegenentwurf zu den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen in England beschreibt. Für die damalige Zeit war die in Utopia geschilderte Gesellschaftsordnung revolutionär und bis in die Neuzeit literarisch und philosophisch prägend. Morus wurde 1535 hingerichtet.)
An der benachbarten Sappho-Universität wird schwerpunktmäßig feministische bzw. queere Literatur und Kunst, insbesondere des globalen Südens, gelehrt und erforscht. Der der Lyrik gewidmete jährliche Sappho-Tag am 21. März, an dem auf globaler Ebene Lyrik vorgetragen wird, ist weit über die Insel hinaus bekannt.
Jeder gebürtige Epyreaner erhält mit Vollendung des 18. Lebensjahres eine Bonuszahlung von dem Dreifachen des durchschnittlichen Jahresgehalts aus dem staatlichen
Generationenfonds, die verpflichtet, 20 Jahre auf der Insel zu leben und hier den Bonusbetrag zu investieren. Zudem hat jede Einwohnerin im Falle von Bedürftigkeit Anspruch auf ein
Sozialeinkommen in Höhe des Existenzminimums. Für Menschen mit Behinderungen oder starken gesundheitlichen Einschränkungen gelten besondere Sätze. Vom 18. bis zum 70. Lebensjahr ist grundsätzlich
ein Soziales Jahr im Gemeinschaftswesen der Insel verpflichtend.
Gemeinsinn und der Respekt vor allen Lebensformen sind tief in der Gesellschaft verwurzelt. Die besondere Verantwortung jeden des im Netzwerk des Lebens eingebunden
Menschen ist die Grundlage für Pädagogik und Soziale Arbeit. Sinnfindung, Geborgenheit, soziale Beziehungen, selbstbestimmtes Handeln, Selbstakzeptanz und die persönliche Weiterentwicklung sind
staatlich geförderte Entwicklungsziele.
Das KI-gestützte Gesundheits- und Pflegewesen ist staatlich organisiert und kostenfrei. In eine generationell organisierte Rentenversicherung zahlen grundsätzlich
hälftig alle Erwerbstätigen und Unternehmen bis zum 70. Lebensjahr ein. Die vom Generationenfonds garantierte Mindestrente beträgt nach 40 Beitragsjahren das Doppelte, die Höchstrente das
Vierfache des Existenzminimums. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt im Jahre 2044 90,2 Jahre.
Die allermeisten Betriebe der Insel sind genossenschaftlich organisiert und entrichten eine pauschale Gewinnsteuer von 20 %. Die Mehrwertsteuer für Güter des
täglichen Lebens entfällt; ansonsten wird sie bis zu einer Höhe von 90 % erhoben, abhängig vom CO²-Ausstoß und Ressourcenverbrauch des Gutes (der sog. Empyrea-Index). Die Mehrwertsteuer ist
damit für einen überwiegenden Teil der staatlichen Einnahmen verantwortlich. Die Einkommensteuer für Erwerbsarbeit und Rentenleistungen liegt pauschal bei 20%, für Erträge aus
Nicht-Erwerbstätigkeit und Unternehmensgewinne mit Ausnahme der Genossenschaften pauschal bei 30 %. Die Erbschaftssteuer beträgt pauschal 50 %. Sämtliche Einnahmen aus der Erbschaftsteuer und
Überschüsse aus staatlichen Einnahmen gehen in den Generationenfonds.
Die Menschenrechtsproklamation der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1946 hat auf Empyrea uneingeschränkte Gültigkeit. Der Erhalt der Lebensgrundlagen und Tierechte haben darüber hinaus Verfassungsrang. Im Rahmen des Mare-Nostrum-Paktes der EU aus dem Jahre 2028 bestehen besondere wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu allen Mittelmeer-Anrainerländern außerhalb der EU, die auch eine gesteuerte Arbeitsmigration umfasst. Auf Empyrea gilt eine Pflichteinstellungsquote von mindestens 10 % für Erwerbssuchende aus dem Mare-Notrum-Pakt für eine Beschäftigungsdauer von mindestens fünf Jahren. Die Wirtschaft von Empyrea ist so mit den Mare-Notrum-Staaten mittels vieler Fachkräfte auf Dauer verbunden. Der Einsatz der 500 Personen starken militärischen Eingreiftruppe erfolgt nur im Rahmen von UN-Missionen, der maritime Küstenschutz hat auch humanitäre Aufgaben.
Die 50 Abgeordneten des Parlaments werden für eine Legislaturperiode von fünf Jahren direkt gewählt und können einmal wiedergewählt werden. Die Sitze werden
geschlechterparitätisch verteilt; ggf. wird die Parität durch Überhangmandate sichergestellt, falls sich Parität nach dem Wahlergebnis nicht einstellt. Die Abgeordnetendiäten betragen das
Fünffache des Existenzminimums. Das Parlament wählt die Ministerpräsidentin und die Minister aus ihrer Mitte. Die Präsidentin mit überwiegend repräsentativen Aufgaben wird für sieben Jahre direkt
gewählt. Parallel zu den Parlamentswahlen und deren Legislaturperiode wird aus allen Wahlberechtigten per Losverfahren ein Ökologischer Zukunftsrat etabliert. Dieses ehrenamtlich tätige Gremium
hat ebenfalls 50 Mitglieder und ein Vetorecht mit aufschiebender Wirkung gegenüber allen Entscheidungen des Parlaments, die den Klima- und Artenschutz betreffen. Wie die Vergangenheit zeigt,
erfolgte durch ein entsprechendes Veto häufig die Überarbeitung des Gesetzes.
Der seit 2028 dreijährlich auf Empyrea erhobene Lebenszufriedenheits-Index, an dessen Erhebung alle Bewohner/-innen der Insel ab dem 14. Lebensjahr teilnehmen
können, ist in den Jahren 2028 bis 2043 von 42 auf 86 (von 100 Punkten) gestiegen. Empyrea ist damit die wohl glücklichste Region der EU.